Obwohl in der grafischen Anmutung der erfolgreichen Naturkunden-Reihe bei Matthes und Seitz ist Brigitta Falkners neues Buch Strategien der Wirtsfindung scheinbar kein Teil der offiziellen Reihe. Das Buch ist auch viel weniger Buch als mehr Experiment in Grafik, Lyrik und Wissenschaft. Vordergründig handelt es sich um ein Kompendium des Parasitismus in der Natur, beziehungsweise es evoziert eine sachbuchartige Auseinandersetzung mit diesem Thema. Doch darum geht es Brigitta Falkner nicht. Stattdessen ist das Werk in zwölf Abschnitte eingeteilt, die wie Folgen einer Comicreihe oder einer alternativen Wissensvermittlung daherkommen. Falkner hat nicht nur die Texte geschrieben, eine Mischung aus Gedichten, Aufzeichnungen und Fremdtexten, sie hat auch die fulminanten Grafiken gezeichnet, die das Ganze eher zu einer Graphic Novel machen – ohne Lettering, Handlung oder Protagonisten. Daher kann Strategien der Wirtsfindung als ein Hybrid in alle Richtungen bezeichnet werden. Er lädt ein zum Schmökern, Blättern, vor und zurück, zu Entdeckungen jenseits des belehrenden Zeigefingers. Es ist ein Angebot, sich gruseln zu lassen, in einer Welt, die real ist, und an Perfidität, Ekligkeit und Abstoßung kaum noch zu überbieten scheint. Was sich die Larven unendlich spezialisierter Mikroorganismen so alles haben einfallen lassen, um an ihre armen Wirte zu kommen, sie zu missbrauchen, in sie einzudringen und bei lebendigem Leib zu vertilgen, ist nichts für schwache Nerven. Dabei erlässt einem Falkner die grafischen Details. Es genügt die verstörende Schilderung in einem Gedicht aus lateinischen Namen und nüchternen Fakten. Die Zeichnungen frönen in hartem Schwarz-Weiß-Kontrast mit bisweilen sachten und überraschenden Schlenkern ins Farbige, von Rot bis Grün, den skurrilen Physiognomien jener kleinen und manchmal auch großen Tierchen, die in jedem Sci-Fi-Film problemlos die Rolle der Bösen übernehmen könnten. Doch Falkner lässt sich nicht festlegen, mitnichten handelt es sich um eine vorausschaubare Porträtserie – stattdessen überrascht das Format mit Seiten, die sich nie gleichen, überraschenden riesigen Wimmelbildern, die eher ausgeflippten Tapetenmustern ähneln, oder eingeschobenen Mini-Strips oder der Galerie der Schadbilder (Rohrschach-artig angeknabberte Blätter) oder minutiösen Bilder von Haufen aus Dingen (Zimmerchaos, Müll, Netze etc.). Ein wenig geht die Detailverliebtheit und Expressivität in Richtung des Stils von Charles Burns (in Black Hole ist es thematisch auch nicht mal unverwandt) oder die GON Serie von Masashi Tanaka. Was Falkners Bilder allerdings unterscheidet, ist die aufgehobene Trennung von Vorder- und Hintergrund, was ihre Bilder bisweilen schwierig zu lesen oder identifizieren lässt. Wo bei genannten Graphic Novels die Informationsvermittlung und Narration oberste Priorität in der Bildgestaltung hat, werden Brigitta Falkners tableaux eher zu milchigen überforderern, die Zeit brauchen. Nicht alle zünden, aber in der erschlagenden Gesamtheit macht es Spaß, mit ihnen auf Entdeckungstour zu gehen. Sehr interessante, fast narrative Beiträge stellt Falkner z.B. aus dem Bereich der Kryptobiose vor, einer Art Trockenstarre, die beispielsweise die Bärtierchen verwenden, um in dieser scheintodartigen Warterei auch extreme und extrem unterschiedliche klimatische Bedingungen zu überleben und plötzlich wie aus dem Nichts mit den Beinchen wackeln. Oder als Kostprobe eine fiese Fischparasitie:
"Als freischwimmende Larve gelangt das Männchen der
CYMOTHOA EXIGUA durch die Kiemenspalten in die Mund-
höhle des Wirtsfisches. Dort hakt sich die junge Assel
mit ihren Klauen am Zungengrund fest, zapft die Arterie an
und saugt alles Blut aus der Zunge, bis diese abstirbt.
Indessen gedeiht der Parasit, erreicht eine Länge von 3cm
und mutiert zum Weibchen, das die Funktion der Zunge
übernimmt. Die falsche Zunge erkennt der Laie am Augen-
paar, das aus dem Fischmaul späht."
Und einige weitere Strategien mit Versumbruch:
"APHANTOCHILUS ROGERSI
streckt ein Beinpaar
in die Luft
wie die Ameise
ihre Antennen.
Sie läuft im Zickzack
auf sechs Spinnenbeinen;
äfft Gang und Habitus
der geduckten Beute nach,
imitiert die Silhouette
der CEPHALOTES PUSILLUS
nahezu perfekt
(der perfekten Kopie
gingen Original und Kopie
auf den Leim.)
Der Schleimpilz
PHYSARUM PLOYCEPHALUM
imitiert das Bahnnetz
von Tokio.
Taktile Täuschung
betreiben Pilzparasiten
der Gattung
FIBULARHIZOCTONIA
als Termiteneier
imitierende Untermieter.
Wenn er nicht hüpft,
schlüpft der Zipfelfrosch
in die Rolle
eines welken Blatts.
Der unbeschuppte Schleimfisch
entpuppt sich
als falscher Putzer,
die Zunge
des roten Schnappers
als Fischschmarotzer,
wobei die grässlichen,
ein wohliges Gruseln
erzeugenden Bilder
von aus Fischmäulern
ragenden Riesenasseln
an Szenen
aus Shivers mahnen
(bei Cronenberg
kriechen die Parasiten..."
Brigitta Falkner changiert zwischen besagtem body horror, wissenschaftlichen Zitaten von Humboldt etc. oder Ernst Mach, lässt Bild und Text sich ergänzen, ohne einander bloß zu illustrieren und hat zum Glück ein ausführliches Glossar angehängt. Ihre "neuen Metamorphosen" sind ein gelungenes Experiment zwischen Kunst und Wissenschaft, dessen unappetitlicher Inhalt es umso mehr zu einem fast ambivalenten buchkünstlerischen Vergnügen macht. Ein einzigartiges Ding.
– Jonis Hartmann, Fixpoetry (2/10/2017)