Brigitta Falkners philosophischer Spass
Den «Sinnhobel» haben Anagrammisten vom Schlag eines Oskar Pastior angesetzt, spätestens seit Unica Zürn hat man wieder Lettern gezählt und mit der Sprache gezimmert. Aber wenn Dichter dichten, wird davon die Welt nicht wieder heil. Vielleicht helfen ja Bindall und Bindulin, Kittan und Kittfix? Ihren «Bunten Tuben» widmet die österreichische Schriftstellerin Brigitta Falkner ihr neues Grossanagramm. Was bei diesen vierzig Seiten langen Gedicht herauskommt, ist ein philosophischer Spass erster Ordnung. Drück auf die «Wunschtube», und es geht dahin. Viel braucht Brigitta Falkners rekordverdächtiges Anagramm nicht. «Zwo Studenten», einen Dozenten und das Anagramm zweier Tuben: «übt, übt!». Weil es zum Wesen des Anagramms gehört, sich ständig selbst zu chiffrieren, hat Brigitta Falkner eine Geschichte erfunden, in der es genau darum geht, die «dichtenden Tuben» zu enträtseln. Bei Brigitta Falkner geschieht das in aberwitzigen Wendungen und mit hohem Tempo, am Ende gibt's «Tube zu!», Crime und auch einen Toten. Bis dahin aber streift man die tiefen Fragen des Seins, jene nach «Tube und Wesen» oder überhaupt nach den «Codes der Tubenheit»: «‹Schöner Witz.› ‹Unbedeutend.› / ‹Er scheint unbedeutend.› Zwo / Tuben (dies zu den Wörtchen / ‹zwo Tuben›). Rechts, die Dünne, / wurde benutzt; – die schönen / Wörtchen indes benutze DU / DICHTER!» In mancher Beziehung kann man Brigitta Falkners «Bunte Tuben» auch als späte Antwort auf jene Anagramm-Diskussionen lesen, die Jean Baudrillard schon vor über drei Jahrzehnten mit den TelQuel-Autoren geführt hat. Bei Brigitta Falkner sind die Signifikanten nicht tot, sondern das Grosspoem «Bunte Tuben» schafft es, in virtuoser Beherrschung der anagrammatischen Methode eben auch noch eine Geschichte zu erzählen. Wovon die Rede ist, wird dabei zum Einfall zweiter Ordnung. «Bunte Tuben» erzählt vom Bedeuten. Die bunten Tuben sind eben nicht nur Material für beste «Deco», sondern auch für den «Code». Was sie an Farbe und Form versprechen, ist zugleich auch ein Inhalt. Und so wird Falkners Grossanagramm zu einer höchst gelungenen Parabel auf das Dichten und das Lesen. Das Anagramm, die Umstellung der Buchstaben eines Satzes, bei der sich wieder neue Wörter und Sätze ergeben, hat seine Moden hinter sich. Die Puristen haben nicht nach Bedeutungen geschielt, sondern ihre materialorientierte Arbeit mit positivistischer Energie betrieben. Brigitta Falkners sprachexperimentelle Kunst dagegen hat sich immer für den Hintersinn interessiert. Die wendige Intelligenz von Falkners Büchern hat einen Witz, der tatsächlich auch komisch ist. In Falkners erstem Band, «ABC», ist ein Foto von zwei nebeneinander stehenden Fussballern zu sehen. Sie tragen den Schriftzug «Uhu» am Trikot und werden so zum Sinnbild einer palindromatisch verschleiften Welt. Von vorne wie von hinten liest sich dieses Universum gleich. Es ist eine stille Trauer in Falkners poetischem Humor. In den Spiegelphänomenen der Sprache spürt ihre Literatur den Sinn auf. Falkners Palindrome und Anagramme, Fotos, Bildtexte oder Comics zeigen die Sprache bei der Arbeit und die Autorin mit einer reflexiven Leichtigkeit, die vor allem in der jüngeren Generation selten ist. Das Buch «Bunte Tuben», das mit schönen Bildchen seinen Gegenstand illustriert, ist «Witz-Decoder» und Vexierbild; man kann damit philosophieren oder sich in «Dunstebenen» fallen lassen. «Deco» oder «Code»? Unter seinem eigenen philosophischen Niveau wird man sich bei dieser «Zeichen- und Wundertüte» nicht amüsieren. «Zwo Stündchen brüten: die / zu Buchseiten werdende Not»? Mitnichten!
– Paul Jandl, in: Neue Zürcher Zeitung (7/2004)