Brigitta Falkners Lust an der Erforschung von Ordnungsmustern gilt gleichermaßen der Natur wie der Kultur und insbesondere der Sprache, beide kennen Camouflage und Mimikry. "Ein erfülltes Milbenleben. / Rückblende: Kissen. / Vier Wände. Ein Bett. / Kein Plot. Stattdessen: / Fressen ohne Ende /auf sicherem Gelände." Nummeriert von #1-12 erkundet Brigitta Falkner auf 204 von ihr wunderschön gestalteten Doppelseiten in "Strategien der Wirtsfindung" die wuchernde Welt der Parasiten und Schmarotzer. In Zeichnungen und Texten entfalten sich auf beeindruckend enzyklopädische wie spielerische Weise wundersame und verborgene Lebenswirklichkeiten. Parasiten beherrschen verschiedene Arten der Täuschung und Tarnung, um sich in Pflanzen, Tiere, Menschen, Bücher, Kissen, Teppiche und andere Objekte einzuschleichen und sich zu vermehren. Deshalb wimmelt es in den hybriden Text-und Bildwelten des Buches von Milben, Zecken, Asseln, Muscheln, Flöhen, Pilzen, Ohrwürmern, Saugwürmer, Raupen, Wanzen und anderen Kleinstlebewesen in den verschiedenen Stadien ihrer Existenz und ihren zahllosen Aufenthaltsorten, zu denen, wie schon erwähnt, auch Bücher gehören. Brigitta Falkner zoomt die unsichtbaren Schmarotzer bisweilen wie durch ein Vergrößerungsglas heran, dann muss man sie wieder im Durcheinander und übereinander von Abfall oder in chaotischen Vexierbildern suchen, in denen Räume und Zeiten ineinander geschichtet und Größenverhältnisse missachtet werden. Wie immer bei ihren Projekten kombiniert Brigitta Falkner ihre wissenschaftlichen und poetischen Interessen und deshalb unterscheidet sich ihr Kunstbuch doch sehr von Graphic Novels, die Geschichten erzählen. Ihre Lust an der Erforschung von Ordnungsmustern und "Strategien" - wie schon der Titel signalisiert -gilt gleichermaßen der Natur wie der Kultur und insbesondere der Sprache, beide kennen Camouflage und Mimikry. Falkner ist bekannt für ihre Liebe zu mathematischen Formeln und poetischen Regelsystemen -wie Anagramm, Lipogramm, Palindrom, Rebus -, aber auch für ihren Witz und ihre Komik. Man denke nur an ihren kurzen Ratschlag "Sei fies / tu erfreut", ein Palindrom, das von vorne und von hinten gelesen werden kann.
Brigitta Falkner ist eine sehr gründliche poetische Parasitologin, hat jahrelang recherchiert und eine ästhetische Form gefunden, den Forschungsgegenstand und seine Geschichte inklusive aberwitziger Details zu präsentieren, mit Fußnoten, einem Literaturverzeichnis und mit eingestreuten Zitaten von Forschern, Philosophen und Schriftstellern. Wer kennt schon die größte Blüte im Pflanzenreich mit einem Meter Durchmesser, den fleischfressenden Vollschmarotzer "Rafflesia arnoldii" in Indonesien, über den Alexander von Humboldt 1828 schrieb: "Sie prangt mit der schönsten rothen Farbe, und hat einen wunderbar auffallenden Geruch nach gekochtem Rindfleisch". Falkner wandelt mit ihrer Erforschung der Metamorphosen auch auf den Spuren einer berühmten Vorgängerin, denn schon die Frankfurter Naturforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian interessierte sich im 18. Jahrhundert besonders für die Metamorphose der Insekten, die sie in Südamerika beobachtete und in ihrem Hauptwerk beschrieb und detailgetreu zeichnete. Man lernt viel in Falkners Buch, beispielsweise wie "Kleptogamie" funktioniert, aber das verrate ich hier nicht. Und schon das Sprechen über diverse parasitäre Systeme legt nahe, dass es Parasiten und Schmarotzer nicht nur in der Tier-und Pflanzenwelt gibt. Der Satz "All things are vectors" des Mathematikers und Philosophen A. N. Whitehead, der die Welt als Dynamik von Prozessen denkt, steht wie ein Motto auf einer der ersten Buchseiten. Und in der Tat bietet Whiteheads Weltsicht, dass sich das Universum aus elementaren, ineinander greifenden und miteinander verwobenen Prozessen und Relationen zusammensetzt, produktive Denkanstöße für Brigitta Falkners poetisches Universum. In immer neuen Variationen und aus jeweils anderen Perspektiven, in einer zirkulären Bewegung, die am Ende wieder zurück zum Anfang führt, baut sie ihr Buch auf, das keinen linear erzählten Plot hat. Was ihr in diesem Gesamtkunstwerk gelingt, ist einzigartig, denn sie evoziert "Flimmerbilder von Wimmeltieren", die ästhetisch die Fähigkeit zur Metamorphose der Parasiten, also ihre Verwandlungsfähigkeit, veranschaulichen, aber auch die Ununterscheidbarkeit zwischen Parasit und Wirt, Text und Bild. Das parasitäre Verhältnis löst nämlich die Grenzen auf und das heißt auch die künstlerischen Grenzen. Brigitta Falkner ist Zeichnerin, Autorin, Filmemacherin, und so ist es nur naheliegend, dass im ersten Halbjahr 2017 im Literaturhaus Wien eine Ausstellung von Entwürfen, Grafiken und einem Storyboard zu einem Kurzfilm ihre Annäherungen an die "Strategien der Wirtsfindung" aus "wechselnden Perspektiven, Blick-und Schlupfwinkeln" präsentierte. Schön, dass "Strategien der Wirtsfindung" auf den Bestenlisten von ORF und SWR zu finden war, auf der Shortlist zum österreichischen Buchpreis steht und dass der Verlag Matthes &Seitz für das bibliophile Kleinod mit dem Preis der Hotlist 2017 ausgezeichnet wurde. Brigitta Falkner gelingt mit dem Buch "Strategien der Wirtsfindung" ein bilderreiches und sprachspielerisches Gesamtkunstwerk, das auf singuläre Weise Wissenschaft und Poesie verbindet.
– Christa Gürtler, Die Furche (7/122017)