Beiwörtchen detonieren: Brigitta Falkners famoses Mega-Poem «Bunte Tuben»
Die Lettern splitterten. Kam eine Dichterin. Eine aus Wien, mit wachem Verstand. Mochte den Unrat leiden: die brüchigen Texte, kreisenden Sätze, zerstoßenen Silben. Ordnete sie. Ließ das beiseite, was hässlich war: «– die schönen Wörtchen indes benutze DU DICHTER!» Das tat sie denn auch. Tatsächlich ist der neue Band, der «Bunte Tuben» heißt, den Brigitta Falkner gerade vorgelegt hat, unheimlich hübsch geworden. Allein der Einband! So weiß! Die Typografie: im schlichten Anschnitt, mal fett oder schräg! All die Klammern, Fragezeichen, Ausrufezeichen! Insgesamt nur 14 Buchstaben! Ein Schmuckstück ist dieses Buch. Ein Gedicht über 40 Seiten. Ein Mega-Anagramm. Nichts überraschendes im Fall der 1959 geborenen Brigitta Falkner. 1996 demonstrierte sie im «TobrevierSCHreiverbot» Palindrome, Wort- und Buchstabenfolgen, die vor- und rückwärts gelesen denselben oder einen anderen Sinn ergeben. Vor drei Jahren hatte es ihr das Lipogramm angetan. Also: Buchstabenentsagungsdichtkunst. In «Fabula rasa oder Die methodische Schraube» verweigert sie konsequent Vokale, erlaubt lediglich das A und das U: « … das A zumal, das rasant klang (KARL), markant, ja scharf aussah (MANN) … und das U, das als Zusatz und Aufputz (FRAU) … zart klang …» In Bildkadern, mit Comics, Filmstreifen und Storyboards wird hier gedichtet. Brigitta Falkner ist eine Kunstzerlegungsentdecker- und -erfinderin. Mit multimedialer Neigung. Im Rundfunk ist sie anzutreffen. Und in Ausstellungen wie etwa 2000 im Münchener Gasteig: «Dynamisches Zeichen – Poesien zwischen den Medien». Im neuen Band finden wir ebenfalls manches Bildnis, selbstklebende Sammelbilder aus dem Jahr 1964. Freilich mit nur einer Art Objekt: mit bunten Tuben. Diese nutzt Falkner als Dichtungs-Chiffre. «Dichtende Tuben?» Sie werden ausgequetscht. «O den Tuben-Code, den bunten?» Ebendem ist Falkner auf der Spur. «RUHE! Ein Code?» Hauptsächlich gehts ums Bedeuten – «deutend, Zeichen wende, sozureden nicht (übt! übt!) ende, Worte zu schinden …» Im Ergebnis steht kunstvoll verknotete Sprache: «Dutzend Wortschübe», «bunt detonierende Beiwörtchen» – «O!». Das Dichten und das Lesen werden gleichermaßen reflektiert. Dazu nutzt Falkner ein enges Korsett. Entsteht doch beim Anagramm in festgelegten Grenzen virtuose Poesie: «Da wird mit einer ganz bescheidenen Zahl von Buchstaben operiert. Jeder darf nur einmal vorkommen, und keiner darf übrig bleiben», erklärte vor kurzem Andreas Thalmayr (alias Hans Magnus Enzensberger). Während dieser in seinem poetologischen Werk «Lyrik nervt!» den unheilvollen Umgang mit dem Gedichte-Gut in der Schule bemängelt, hat Falkner «Dozentchen» samt Rezensenten im Visier: «Es reden zwo undichte Tuben … bereden, wo nichts zu deuten … und so weiterchen … z. B. DEUTEN (Schön. Deuten wir z. B. deuten …)» Falkner sinniert übers Verschlüsseln und Enträtseln der Wörter im Geiste der Surrealistin und Anagramm-Königin Unica Zürn (1916-1970). Sie frönt Zürns Vorliebe für codierte Botschaften und Letternmystik. Würfelt mit den Wörtern, die sie in die Zeilen packt. Spielerisch, witzig, raffiniert. Am Ende versinken sie im Dunst der Dichtung, im ätherleib des Anagramms: «Wo enden? – Tube zu. Den Rest ich DIENST üBEND zu Wörtchen binde, – zwo tünche: unterdes benütze, Worte schinde horte; zu Sub-Enden winde […] Unterdes ich ende, o unterdes ich enden tue bzw. w ü r d e – so ich (Tubentendenz: deszendent) Buch wie Route zu beenden wünschte […].»
– Oliver Ruf, TAZ (8/2004)