Wie befallen Parasiten ihre Wirte? Und was richten sie dort an? Die Wiener Autorin und Zeichnerin Brigitta Falkner nähert sich dem Thema auf künstlerische Weise. In ihrem Buch Strategien der Wirtsfindung kombiniert sie wissenschaftliche Erkenntnisse zum Parasitentum mit lyrischen Texten und psychedelischen Zeichnungen in Schwarz-Weiß. Sie liefert Miniporträts der Parasiten, gespickt mit Fachvokabular, zitiert Wissenschaftler, Philosophen und Literaten, darunter die Naturforscherin Maria Sibylla Merian und Gustave Flaubert, und sie versteckt weitere Informationen im Appendix des Buches, dessen Lektüre daher unverzichtbar ist. Ein morbides Vergnügen! Tief taucht man ein in die Schmarotzer-Welt menschlicher Behausungen, welche Papierläuse und Raubmilben beherbergen. Hausstaubmilben, dargestellt in Faustgröße, laben sich an Haaren und Schuppen, sterben einen glücklichen Tod im Staubsauger – nicht ohne sich dort fleißig fortgepflanzt zu haben:
Das Leben im Beutel gleicht
einem nie endenden Festmahl,
dem Gott der Milben geweiht.
Der Beutel als heiliger Gral
und Tempel der Gastlichkeit
seinen Besuchern alles böte;
wie der Tempel der Kröte,
der Karpfenteich dem Hecht
oder Italien einem Goethe.
Wird der Sack hernach entleert,
hat sich die Milbenart vermehrt.
Genussvoll zelebriert Falkner in Wort und Bild die Lebenszyklen von Faden- und Saugwürmern. Sie macht uns mit dem Vollparasiten Rafflesia, einer nach Aas stinkenden Pflanze mit gigantischen roten Blüten, bekannt. Manche Schmarotzer wie die Rosengallwespe werden ihrerseits befallen von Hyperparasiten wie der Gezeichneten Rosenerzwespe – es ist ein Parasitieren und Parasitiert-Werden! Dieser Kreislauf begann schon in der frühen Erdgeschichte. Davon zeugen Blatt-Fossilien aus dem Eozän mit Schadspuren von Pilzen. Auch von schwer zu deutenden Fossilien wie Hallucigenia, einem Urahn der Bärtierchen, ist hier die Rede. Bärtierchen (Tardigrada) sind überlebenskünstler. Sie können dank ihrer Fähigkeit zur Kryptobiose (= Trockenstarre) in allen ökosystemen der Welt existieren und überstehen sogar das Vakuum und die kosmische Strahlung im Weltall. Dies ergab das Experiment TARDIS der European Space Agency.
Ist der Stoffwechsel
zum reversiblen
Erliegen gebracht,
kann man die dehydrierten Tardigraden
in flüssigem Stickstoff baden,
im Backofen
auf zweihundert Grad erhitzen (überprüfen),
radioaktiven Strahlendosen
bis zu sechstausend Sievert aussetzen.
In Alufolien verschweißen.
Ins All schießen.
Das molekulare Inventar
der Zellen bliebe
in allen Fällen unversehrt,
belehrt uns die Lektüre
ohne Angabe von Quellen.
Das Buch Strategien der Wirtsfindung ist ein lehrreicher Gedichtband, eine verschmitzte Anthologie zur Parasitenforschung, eine Graphic Novel ohne Handlung – ein Hybrid, der fasziniert und Rätsel aufgibt. Makabre Wimmelbilder aus dem häuslichen Gruselkabinett und der Mikro- und Makrowelt der Natur, von Pflanzen überwucherter Müll, üppiger Dschungel, Tierskelette und Fossilien, Texte voll abgründigem Humor. Schaut euch unbedingt diesen Kurzfilm zum Buch an! Darin flimmern Brigitta Falkners Zeichnungen über den Bildschirm, während die Autorin hypnotisch-monoton dazu liest. Von mir aus könnte sie das ganze Buch mit diesen seltsamen Texten vortragen! Ich tauche währenddessen ab in ihre alptraumhaften Schwarz-Weiß-Bilder und beginne Respekt vor den Strategien der erfindungsreichen Wirte zu empfinden. Doch Achtung: ein bisschen Ekel muss man ertragen können bei der Lektüre dieses Buches!
– Petra Wiemann, Elementares Lesen (18/8/2017)