In den Büchern der Wiener Autorin Brigitta Falkner tanzen die Buchstaben einen wilden Reigen. Und die Bilder nicht minder. Am Donnerstag Abend las die Zeichen-Artistin im Wiener Museum auf Abruf.
«Wenn ich des Morgens aufstehe, sprach Gschwebbt – ein Kroat –, so spreche ich ein ganzes ABC, darin sind alle Gebett einbegriffen, unser Herr Gott mag sich danach die Buchstaben selbst zusammenlesen und Gebethe drauss machen wie er will. Ich könts so wol nicht, er kann es noch besser.» [Moscherosch: Die wunderlichen wahrhaftigen Gesichter Philanders von Sittewald. 1665] Wien – ABC hieß ihr allererstes Buch – genauer: Anagramme, Bildtexte, Comics – und durch die Buchstaben des Alphabets krault die Wiener Autorin Brigitta Falkner mit Wollust wie (weiland, vor dem Tod Carl Barks') Dagobert Duck durch die Flut seiner Münzen. Nach dem Bad nimmt sie die Lettern, dreht sie und schraubt an der methodischen Schraube, bis die Lust schmerzt: «AU!» heißt der gut 100 Seiten lange Haupttext ihres jüngsten, vor einem halben Jahr im Klagenfurter RitterVerlag erschienenen Prachtbands Fabula Rasa. «AU!» ist eine Geschichte von glühender Liebe, rasender Eifersucht, von mindestens zwei Männern und einer Frau. Vor allem aber ist «AU!» ein Lipogramm. Ein Text also, der sich bewusst die Hürde stellt, auf einen oder mehrere Vokale zu verzichten. In Falkners Fall sind es gleich drei: E, I und O fallen dem Formprinzip zum Opfer und also unter die Fußnotenlinie. Sieger bleiben im Hauptfeld allein A und U. Au! eben. Weshalb Karl, der «Schlappschwanz, Saftsack und Pappkumpan» den ungleichen Kampf aufnehmen muss gegen «Paul, das Schandmaul», der, zum ärger Karls, «das Haar abundant zur Schau trug und Schaum schlug». Ziel des Wettstreits: Ruths Gunst. Und das ohne Artikel und Infinitiv, denn die verzichten bekanntlich nur ungern auf das E. Auf über 600 Karteikärtchen verteilt Brigitta Falkner die melodramatische Handlung, je zwölf zieren im Faksimile eine Doppelseite des Buchs. Und sie dreht die methodische Schraube (so übrigens auch der Untertitel der Story wie des ganzen Bandes) noch zigfach: Kommentieren in der Kopfzeile der Kärtchen Regieanweisungen die wilde Handlung, reihen sich in den Fußnoten, vom lipogrammatischen Verzichtzwang befreit, die gelehrten Kommentare mit Zitaten von Abraham a Santa Clara bis zu Gustav Gans, von soziologisch-ästhetischer Literatur (Jacques Ninio: Macht schwarz schlank?) bis zu Fachwerken aus den entlegensten Wissensgebieten. Arno Schmidt lässt hübsch grüßen, und das nicht nur hier. Brigitta Falkners Bücher sind also buchstabensprudelnde Quellen allerhöchsten Lese-, Kombinations- und Blickvergnügens. Denn fast immer erweitert sie das erlesene Wort um – selbstverständlich selbst gezeichnete – Bildkosmen. Ob in den Comics von ABC, ob bei den Palindrom-Würmern ihres zweiten Buches TobrevierSCHreiverbot oder in Fabula Rasa im Filmscript zu «Prinzip i», der Lebensgeschichte von Willi, geboren unter dem Auge INRIs in einer «Klinik in Linz». (Sie erraten: der lipogrammatisch reduzierte Vokalvorrat beschränkt sich diesmal auf das schlanke «I».) Dass die in Wien lebende und 1959 in Wien geborene Autorin selbst in literaturbeflissenen Kreisen als noch unentdeckter Geheimtipp gilt, mag an ihrer mangelnden Neigung zu medialer öffentlichkeit liegen. Interviews mit Brigitta Falkner existieren keine, und die bekannten biographischen Daten stehen in obigem Satz vereint. Bleiben die drei Bücher – drei nur, denn auch hier verweigert sich Falkners hochformalisierte SprachSpielfreude dem vorschnellen Schaffensdrang. Die Erzeugung von Lipogramm-Romanen in der Nachfolge des Franzosen Georges Perec (dessen lipogrammatisches Werk la disparition, zu Deutsch Anton Voyls Fortgang, Falkner in «AU!» fußnotend beschwört) oder von seitenlangen Palindromen – also Texten, die sich von vorne wie hinten lesen lassen –, braucht Muse, also Zeit. Vier bis fünf Jahre liegen zwischen den Erscheinungsdaten ihrer Bücher. In den Zwischenzeiten sind ihre Text-Bild-Collagen in Ausstellungen zu sehen – 1998 widmete ihr das Literaturhaus eine Einzelausstellung, 2000 waren sie beispielsweise auf der Caricatura in Kassel mit Werken vertreten. Oder sie produziert ihre Texte für den Hörfunk. Dieser Tage stand sie im Hörfunkstudio des ORF, um eine Hörspielfassung von «AU!» mit den Schauspielern Ulrich Mühe und Harald Hart herzustellen (Regie: Renate Pittroff). Oder aber sie lässt sich zu einem ihrer raren öffentlichen Auftritte hinreißen. Zu so genannten Lesungen, die sich dann doch als hochartifiziell komponierte «Bild Ton Text Projektionen» erweisen. Wie am Donnerstag im Museum auf Abruf in Wien.
– Cornelia Niedermeier, Der Standard (4/ 2002)