Auch wenn das Wort «Wichse» mehrmals vorkommt – derart selbstgenügsame Opulenz ist die Sache der 1959 in Wien geborenen Brigitta Falkner nicht. In «Bunte Tuben», Falkners viertem Buch, einem vierzig Seiten langen, an literarischer Radikalität kaum überbietbaren Anagramm, kommen weder die Gefahr der Selbstbefleckung noch der Objektwahl auf. Was sich als Geschichte zweier Tuben zur vollen Fülle entfaltet, ist ein Spiel fast sinnentleerter Zeichen. «Zwei Tuben: Ident: Zwei bedeutende Nichtse.»
«Rechts die dünne wurde benutzt – die schönen Wörtchen indes benutzt DU DICHTER.» schreibt Falkner und «illustriert» ihren Text mit zwölf «selbstklebenden Sammelbildern» von Klebstofftuben. Was sind Tuben? «Eine Wunschtube? Zwo Stunden brüten: die zu Buchseiten werdende Not.» Anagramme, so wie sie Brigitta Falkner verwendet, setzen ein hohes Maß an Vertrauen in die Sprache und ein Höchstmaß an Misstrauen in Sinn voraus. Dass es ihr gelingt, beide Momente gegeneinander auszuspielen und stellenweise derart ratlos zu machen, dass man sich der Frage: «War das jetzt alles?» tatsächlich nicht mehr entziehen kann, um dann dennoch weiterzulesen, ist eine beachtliche Leistung. Die noch größere dieser vielleicht originärsten zeitgenössischen Dichtung in deutscher Sprache besteht darin, dem Unsagbaren, um das es in Dichtung geht, eine neuen Namen zu geben: Bunte Tuben. Oder weiß jemand, worum es bei Hölderlins «Schweigen wie goldgekocht» oder Rilkes «Rose o reiner Widerspruch – Lust niemandes Schlaf zu sein» tatsächlich geht? Wer von Gedichten etwas Lyrisches erwartet, dem sollte, daran hat schon Ossip Mandelstam erinnert, sofort ein Knüppel übergezogen werden. Brigitta Falkner tut das auf ziemlich vehemente und zielsichere Weise: Bunte Tuben tun weh!
– Erich Klein, Falter 23 (2004)