Einen Realismus der besonderen Art praktiziert Brigitta Falkner. Ob sie traditionelle Verfahren wie Anagramm, Palindrom oder Lipogramm anwendet, stets nötigt sie die Sprache, den Blick freizugeben auf Ansichten der Realität, für die der normale Realismus blind ist. Ob es sich um „die Duotendenz von Würstchen und Brüstchen“ (BUNTE TUBEN) handelt, um den klarsichtigen Sinnspruch „Sei fies, tu erfreut“ (TOBREVIERSCHREIVERBOT) oder um „Infinitiv gilt nicht“ (PRINZIP I). In dem neuen Projekt „Populäre Panoramen“ geht es u. a. um eine Bahnfahrt und sich anbahnende Beziehungen zwischen Reisenden, ein schon in russischen Romanen beliebtes Thema. Aber diese Realität der Bahnfahrt eröffnet nicht nur ein ständig wechselndes Innen und Außen, Zufallsfahrgäste und mögliche Gefahrenmomente, sie ist an sich vielschichtig, denn sie besteht aus dem gesamten Hyperkubus menschlichen Wissens, der hier zwanglos zwanghaft eine anatomische Beschreibung der Gesichtsmuskulatur beim Lippennachziehen ebenso einbezieht wie er die Frage nach der Spurweite der Bahn auf die römischen Pferdefuhrwerke zurückführt, die sich in der Normierung des Spaceshuttle-Transportsystems wiederfindet. Von den Elektronen, die massenhaft schwärmen, wenn in Synthetikfasern gekleidete Beine übereinandergeschlagen werden, ganz zu schweigen. Dieses Geschehen spielt natürlich nicht in einem gleichartig strukturierten euklidischen Erzählraum, hier geht es holterdipolter von Domäne zu Domäne, Mikrokosmos und Makrokosmos schieben sich in und übereinander, freudianischer Witz grinst obszön dazwischen. In den „Populären Panoramen“ formiert sich ein Stück Literatur, extrem zeitgemäß, sprachorientiert, witzig und kombiniert mit sehr klaren surrealen Illustrationen aus Brigitta Falkners Bilderwerkstatt.
– Liesl Ujvary, Monatstexte, Der Hammer 37