Die erstaunliche Kreativität der Parasiten bei der Wirtsfindung und viele weitere Absonderlichkeiten der Natur: Wer sich gerne kunstvoll ekelt, ist hier richtig.
Seit jeher bieten Parasiten eine Steilvorlage für Horrorgeschichten und genüssliches Auskosten von Ekelgefühlen. Wen fasziniert sie nicht, die Vorstellung von Kleinstlebewesen, die ihren Wirt von innen her auffressen. Oder die sogar dessen Verhalten manipulieren wie der Kleine Leberegel (Dicrocoelium dendriticum): Der Saugwurm besiedelt das Nervensystem seines Zwischenwirts und treibt diesen quasi in den Selbstmord. Wie in Todessehnsucht klettern die befallenen Ameisen auf Grashalme, an deren Spitzen sie sich verbeißen, bis sie im Magen von Weidetieren landen. Im Schaf angekommen vollendet der Wurm seinen Entwicklungszyklus. Diesem unerschöpflichen Thema widmet sich „Strategien der Wirtsfindung“ auf ungewöhnliche und immer wieder überraschende Weise. Immerhin ist die Wiener Autorin Brigitta Falkner keine Naturwissenschaftlerin. Als Künstlerin, die zeichnet, Gedichte schreibt und Hörspiele sowie Filme produziert, gestaltete sie ihr fast durchgängig in Schwarzweiß gehaltenes Werk in der Art einer Graphic Novel. Darunter sollte man sich allerdings keine durchgängige Geschichte vorstellen. Vielmehr handelt es sich um oft Seiten- bis Doppelseiten-füllende Zeichnungen und Grafiken, die sich mit Gedichten, Literaturzitaten und Passagen aus historischen Wissenschaftswerken abwechseln. Gekonnt spielt die mehrfach ausgezeichnete Autorin mit dem Makaberen – und schafft es alleine mit Sprache, einen Ekeleffekt zu erzeugen. Ihre Zeichnungen konzentrieren sich dagegen eher auf eine ästhetik des Hässlichen. Das großformatige Buch im festen Pappeinband gliedert sich in zwölf Abschnitte, die zwar durchnummeriert sind, sich aber für die Rezensentin inhaltlich nicht unbedingt voneinander unterschieden. Ein roter Faden durch das Buch scheint nicht zu existieren. So ist es im Grunde egal, an welcher Seite man das Buch zum Lesen aufschlägt: Jede Seite stellt ein eigenes, meist in sich abgeschlossenes Kunstwerk dar. Einmal an diese Willkür gewöhnt, wie auch daran, dass einen nicht unbedingt jede Seite anspricht, kann man in „Strategien der Wirtsfindung“ eine Menge spannender Geschichten entdecken, die oftmals den Wunsch nach weiterer Recherche auslösen. Der Rezensentin war beispielsweise neu, dass die Milbe Acarophenax tribolii eine Art vorgeburtlichen Geschwistersex praktiziert. Dabei befruchtet das einzige Männchen seine Schwestern im Mutterleib und stirbt, bevor es geboren wird – gemeinsam mit der Mutter, die von ihren Töchtern während der Geburt verspeist wird. Wer jetzt schon „Bäh“ denkt, sollte besser nicht weiter lesen, denn es folgen parasitische Asseln (Cymothoa exigua), die durch die Kiemenspalten in Fischmünder einwandern, dort die Blutzufuhr der Zunge unterbrechen und deren Funktion übernehmen, sobald sie abstirbt. Beliebte Wirte sind die Schnapper, die Sie vielleicht als leckeren Speisefisch kennen. Andere Parasiten halten es wie der Leberegel und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass der Zwischenwirt im Magen des Endwirts landet. So scheint der durch Wurmeier rot angeschwollene Hinterleib von Ameisen hungrigen Vögeln als schmackhafte Beere, und parasitische Würmer in den Augenstielen der Bernsteinschnecke gaukeln bunt geringelte, sich windende Raupen vor. Als riesenhafter Vollparasit, der innerhalb des Gewebes von Lianenarten wächst und äußerlich sichtbar lediglich bis zu elf Kilogramm schwere Blüten produziert, verblüfft die Riesenrafflesie (Rafflesia arnoldii). Sie trägt zum Schwarzweiß-Hintergrund der Buchseiten effektvolle rote Akzente bei. Nicht alle Geschichten im Buch handeln indes von Parasiten. Es treten etwa auf: der Karnevalstintenfisch (Thaumoctopus mimicus), der sich je nach Bedarf als Meeresschnecke, Rotfeuerfisch, Seeschlange und Flunder tarnen kann und deshalb erst vor zwanzig Jahren vor der Küste von Sulawesi entdeckt wurde; der Wüstenrenner (Heliobolus lugubris) – ein Reptil, das als Schutz vor Feinden einen Säure verspritzenden Laufkäfer nachahmt und nicht nur dessen Farbe, sondern auch seinen steifbeinigen Buckellauf annimmt; oder die „Laternenträger“-Zikade (Fulgora laternaria), der früher Leuchtvermögen zugesprochen wurde. Sie alle machen das Buch erst recht zu einer Art Kuriositätenkabinett des Lebendigen. Das Verständnis der künstlerischen Aufbereitung dieser Beispiele wird durch Anmerkungen zu zumindest einigen Zeichnungen und Texten am Ende des Buches sehr gefördert. Falkner hat eine Unmenge an faszinierenden und – soweit eine stichprobenartige überprüfung es zeigen konnte – gut recherchierten Beispielen zusammengetragen und dabei Unbekanntes aus Naturkunde, Kunst und Literatur miteinander verbunden. Ihre nicht immer leicht verständlichen (weil langsätzigen!) Gedichte stehen in der Tradition Goethes, wenn er über die Fliege schreibt: „Zum Stehen kaum wird noch das Füßchen taugen; so schlürft sie fort, und mitten unterm Saugen umnebelt ihr der Tod die tausend Augen.“
– Larissa Tetsch, Laborjournal (3/2018)