Brigitta Falkner verknüpft in ihrer Arbeit nicht nur Wort und Bild, sondern auch Avantgarde mit Popkultur. Ihre jüngste Publikation „Populäre Panoramen I“ begibt sich buchstäblich und bildlich auf eine unheimliche Zugreise.
In der Kunst fristen Wörter und Bilder ein weitgehend getrenntes Dasein. Ein kaum greifbares, dafür umso wirksameres Reinheitsgebot verbietet es künstlerisch Werkenden, auch im Erwachsenenalter noch lasziv und ohne Berührungsangst mit beiden Ausdrucksformen zu spielen. Zur ausgelassenen Ineinanderverschachtelung von bildlichen und buchstäblichen Zeichen kommt es vorwiegend in den vermeintlichen Randzonen künstlerischer Gestaltung: in Comics und im Kinder- und Jugendbuch. Dabei genügt ein Blick in avanciertere Formen der «graphic novel» (Roman in Zeichnungen), um zu erahnen, welch komplexe ästhetische Gebilde sich in den «populären» Nischen der Gegenwartskunst verbergen. Die 1959 in Wien geborene Brigitta Falkner bewegt sich in ihrem Schaffen seit gut zwei Jahrzehnten gleichsam von der anderen Seite auf diese Grenze zu. Dabei wäre es eine allzu einschränkende Vermessenheit, würde man ihr unterstellen, sie komme «eigentlich» von der Literatur. Eine solche Zuschreibung liegt vielleicht auch nur deshalb nahe, weil Falkner in ihrer Arbeit Verfahrensweisen aufnimmt und weiterentwickelt, die man aus der sogenannten experimentellen Literatur kennt. «Anagramme, Bildtexte, Comics» hieß ihre erste Publikation im Jahr 1992 ebenso trocken wie programmatisch. Diesem in jeder Hinsicht verspielten Erstling folgten mit «Tobrevierschreiverbot» (1996), «Fabula rasa» (2001) oder «Bunte Tuben» (2004) weitere opulente Bände, die nicht nur auf unverschämte Weise Texte und Bilder mischen, sondern auch keinerlei Berührungsängste mit Genres der Populärkultur wie dem Heldencomic und seiner vermeintlich «minderwertigen» Sprache («Zack! Uff!») kennen. Nur dass bei Falkner keine neuen Mythen entstehen, sondern alte Bildordnungen durch das methodische Spiel mit den Buchstaben und Bildelementen dekonstruiert werden. Wie das geht? Indem man zum Beispiel der Superheldenfresse eines «hard boiled detective» das hinterfotzige Doppelpalindrom «Sei fies! Tu erfreut!» zur Seite stellt – und zwar optisch im Stil jener Plakatsprüche, die katholisch gebrandmarkte Leserinnnen und Leser wohl noch gut aus Kircheneingängen und Pfarrheimen kennen. Palindrom, Anagramm: Fast könnte man darin Zentralformeln des Falkner’schen Wirkens erblicken, hätte sich in ihrem Werk nicht ein vollkommen eigenständiger grapho-literarischer Kosmos gebildet, der das strenge Reglement dieser sprachlichen Gestaltungsprinzipien milchstraßenweit hinter sich lässt. Zur Erinnerung: Ein Palindrom liest sich von vorne und hinten gleich («Tobrevierschreiverbot»), ein Anagramm beruht auf der Umstellung der Buchstaben («Bunte Tuben»). Brigitta Falkner formt aus diesen Mitteln nicht bloß halbe oder ganze Zeilen, sondern – Bücher, immer auch in Verbindung mit gefundenem oder gestaltetem Bildmaterial. überraschend gestaltet sich deshalb der erste Blick auf ihre neueste Publikation mit dem Titel «Populäre Panoramen I» (Klever Verlag 2010): Falkner entwickelt darin mikroskopische Erzählungen von Zugreisen. Wer dabei an Patricia Highsmith («Zwei Fremde im Zug») oder Agatha Christie («Mord im Orient-Express») denkt, liegt zunächst weit daneben. Und obwohl weit und breit nichts Dramatisches passiert, entsteht dennoch eine komisch-unheimliche Atmosphäre. Die Konstellation der Sätze erzeugt ein dauerndes Schwanken – und das in einem durchaus wörtlichen Sinn: Falkner beschäftigt sich in ihren Texten auf mannigfaltige Weise mit den Begriffen Modell, Perspektive und Proportion/Verhältnis. Die «Panoramen», die sie nicht nur erzählerisch, sondern auch bildhaft entwirft, zeigen eine Welt, in der ein zwanghaft genaues, statisches Beschreiben von buchstäblich surrealen Einbrüchen befallen wird. Wie schon in ihrem früheren Werk fällt auch in den «Panaromen» die Falkner’sche Lakonie an allen Ecken und Enden über das allzu Bedeutend-Formelhafte der Sprache her. Und parallel zu den Texten läuft ein Film in Bildern, der in seiner Präzision eine geradezu gespenstische Qualität entwickelt: Wo, möchte man fragen, befindet sich dieser bizarre Mikrokosmos aus Modelleisenbahn, Spielzeugambiente und monströsen Szenerien, den Falkner uns da in weit mehr als hundert Einzelaufnahmen zeigt? Was erzählt er uns über unsere eigenen Wahrnehmungsweisen – nicht bloß beim Zugfahren, dem Zustand des Passierens schlechthin? «Things happen, times pass», hört man sich selbst murmeln, um im nächsten Moment zu erkennen, wie sehr Brigitta Falkners Texte und Bilder gerade solchen murmelitischen Gewissheiten den Boden unter den Füßen wegziehen. Bitte einsteigen und gründlich verwirren lassen!
– Helmut Neundlinger, AUGUSTIN 310 (12/2011)