Was ich lese

Es ist schwer, beim Lesen von Brigitta Falkners Texten (Ritter Verlag, Klagenfurt) nicht ins Schwärmen zu geraten. Zur Beruhigung kann man sich ja an die respekteinflößenden Gattungsbegriffe klammern, denen man in ihren Büchern (zuletzt Fabula Rasa oder Die methodische Schraube) begegnet. Palindrome, Lipogramme, was ist das jetzt schnell? Also: Wenn man einen Text von hinten genausogut wie von vorn lesen kann, dann ist‘s ein Palindrom, und wenn die Autorin sich spaßhalber ein paar Vokale verkneift, dann ist es ein Lipogramm, und wenn einem beim Lesen vor Vergnügen das Hirn an den Plafond springt, dann ist es ein Text von Brigitta Falkner. Sicher, am Anfang macht man sich noch Sorgen um die Autorin. "Ist Willis Irrsinn klinisch? Spinnt Willi schlicht?" Wer angesichts solcher Sätze "klugschwatzt", im Prinzip könnte man statt Willi auch Gitti einsetzen, hat bald ganz andere Sorgen. Nämlich jene um die eigene Zurechnungsfähigkeit. Eben noch haben einen die irrwitzigen Kunststücke lustig in den Ohren gekitzelt, man las das katholisch bunte Glaubensplakat "Sei fies! Tu erfreut!" vorwärts und rückwärts und tat erfreut, man litt mit dem Vorstadt-Strizzi, daß er im Geschäft für "Verbrecherbedarf" seine Radebrecherbreviere" nicht bekam, man gönnte es den beflissenen Kanon-Erstellern, wie ihnen mit ihrem ungenierten Begriff "Kanon" gleich auch ihre ganze Schlauheit im Mund umgedreht wurde ("No na!"), und während es dabei die ganze Zeit so angenehm in den Ohren kribbelte, hat man zu spät bemerkt, daß Brigitta Falkner einem bei der Gelegenheit gleich das ganze wärmende Sprachfell über die Ohren gezogen hat. Jetzt wird's schwierig, das dringend benötigte Bier zu bestellen, ohne sich mit jedem Wort, das einem über die Lippen kommt, wie eine dieser neuro-linguistisch programmierten Polit-Marionetten aus dem Fernsehen vorzukommen. Ein Glück, daß Falkners Buch zur Wiedergutmachung auch einen Gottesbeweis enthält. Sie hilft famit dem Evangelisten Johannes ein bißchen auf die Sprünge, der einst bei Kilometer 1,8 klugschwatzte: Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht Gott der Herr." Brigitta Falkner erzählt das gleiche mit den Wörtern "Silan" und "Omo". Wenn das der Kardinal wüßte!
– Wolf Haas, Die Presse 5/2002