Wörter in der Schraube

Die Wienerin Brigitta Falkner macht «Fabula rasa».

«Sei fies! Tu erfreut!» – Eine im Wortsinn hinterhältige Botschaft, trifft sie doch von hinten wie von vorne ins Herz einer verlogenen Kalenderspruch-Moral. Den Wörtern einen mehrfachen Schrift- und Lautsinn abpressen, sie in die Mangel einer «methodischen Schraube» nehmen, lautet die Parole der 1959 in Wien geborenen Brigitta Falkner. «TobrevierSCHreiverbot» hiess ihr 1996 erschienenes Buch mit Palindromen, Wort- oder Buchstabenfolgen, die vor- und rückwärts gelesen denselben oder einen andren Sinn ergeben. In der palindromischen Falkner-Version wird die berühmte Begegnung zwischen dem «Spiegel»-Herausgeber Rudolf Augstein und dem Philosophen Martin Heidegger zum Spaziergang quasi im Rückwärtsgang: «Eine Gehung / ‹. . . Nun? Nisch, Rudi?› / ‹Durchaus!› / ‹Eidos . . .›» «(. . .) ‹& so?› / ‹Dies auch, Rudi. Durch-Sinnung. Nu?› / ‹He! Genie›.» Hier wie anderswo gilt: Lese Esel! Brigitta Falkners Comics, Minidramen, Filmscripts, diese irrwitzigen «Szenen aus dem wirklichen Leben» (Ernst Jandl) sind die witzigste und intelligenteste Antwort auf die Aporien der literarischen Avantgarde seit langem. Wer da glaubte, Verfahren wie das Anagramm, das Palindrom oder das Lipogramm (der Verzicht auf einen oder mehrere Buchstaben) hätten sich erschöpft im langen Marsch der experimentellen, sprachspielerischen Literatur durch die neuere Literaturgeschichte, den belehren die genau kalkulierten (Bild-) Texte dieser Autorin eines Besseren. Dabei kann man es auch ganz altmodisch formulieren: Sie bearbeiten einen Gegenstand von allgemein gültigem Interesse auf unterhaltende und belehrende Weise. Karl und Paul buhlen um die Gunst von Ruth. Diese psychodramatische Konstellation trägt an einem sprachlichen Handicap, das sich als Glücksfall herausstellt; verweigert die Autorin ihren Figuren doch ein gut Teil der Vokale, erlaubt sind bloss das A und das U: «. . . das ‹A› zumal, das rasant klang (KARL), markant, ja scharf aussah (MANN) . . . und das ‹U›, das als Zusatz und Aufputz (FRAU) . . . zart klang . . .» «AU! Die methodische Schraube» heisst folgerichtig das lipogrammatische Hauptstück im neuen Band «Fabula Rasa». In der Tradition von George Perecs «La disparition» (deutsch: «Anton Voyls Fortgang») entfaltet sich das libidinöse Geschehen um Karl, der aus einem Angsttraum aufschreckend seine Zukunft sieht («. . . als da war Haarausfall, Bauchansatz, Schlachtbank . . .»), und Paul («Facharsch und Pfundsbursch»), der den weidwunden Karl als «Schlappschwanz, Saftsack und Pappkumpan» dastehen lässt. Das wogt hin und her, spielt sich im Kopf ab oder in einer Bar unter Beteiligung von Stammpublikum und Gästen wie Arthur (Schopenhauer) samt Pudel Butz. Das Blatt wendet sich, und schliesslich liegt Karl obenauf. Aber vielleicht war alles ja nur Schall, Rauch und Trug: «Fabula rasa! ruft Ruth und klappt das Buch zu.» Das Textmaterial ist verteilt auf drei korrespondierende Ebenen und gegliedert in über 600 nummerierte Abschnitte, weisse Felder auf schwarzem Grund. Im oberen Teil wird die Textfolge von Regieanweisungen begleitet, unten stehen, befreit vom Formzwang, Fussnoten, die einen bunten Zitierreigen eröffnen: von Carl Barks, der der Welt Figuren wie Donald Duck und Gustav Gans geschenkt hat, bis zu Lenin und seiner ultimativen Frage «Was tun?» – worin die revolutionäre Dimension der Vokale A und U zum Ausdruck kommt. Das zweite längere Stück in diesem sehr schön gemachten Buch ist mit «Prinzip i Storyboard» betitelt. Tat «AU!» weh ob des dramatischen Settings aus Eifersucht und Machtkampf, so klingt hier alles spitz und schrill. Erzählt wird in Bildkadern – Brigitta Falkner ist eine ganz vorzügliche Comic-Zeichnerin – mit dazugehörigen Bildunterschriften – von Willi, der in einer Klinik in Linz geboren wird, gross wird («Will Willi Milch?»), sich in Sissi verliebt, aber dieser keineswegs gewachsen scheint und nur als Lahmarsch bezeichnet werden kann (wenn dieser Rückfall in die Welt des A und U in diesem strikt aufs I hingeschriebenen Text hier erlaubt ist); ein negativer Entwicklungsroman sozusagen. In einer Fussnote zu «AU!» wird der Comicexperte Scott Mac Cloud zitiert, der im «Spalt zwischen den Panels» eine alchimistische Kraft am Werk sieht, «die uns auch noch in den abwegigsten übergängen eine Absicht erkennen lässt». Die Methode in den Texten Brigitta Falkners ist kein Zwang, sie setzt die überraschendsten Sinn- und Sinnlichkeitseffekte frei. Wobei das in Hülle und Fülle vorhandene Erotische, wie Roland Barthes bemerkte, in den Zwischenräumen nistet: da, wo zwei Kleidungsstücke, zwei Kader, zwei Wörter aneinander stossen und der Leser, auch hier oft ein Esel, sich in den Spalten verliert. Den dritten grösseren Block von «Fabula rasa» bildet eine Bildergeschichte im Stil der amerikanischen Detektivstorys der vierziger Jahre. Der doppelbödige Titel «Schmutzige Tricks» bezieht sich nicht nur auf die Kriminalstory, sondern vielmehr auf die verfremdende Chiffrierarbeit der Autorin: «Tusch Telefum klimkelte. (. . .) ‹Kullu?› ‹Amigo›, schakte tii Schtimme.» Es sind wahrlich bewundernswert viele schmutzige Tricks, die Brigitta Falkner souverän beherrscht. Ihr Wissensgebiet reicht locker von Heidegger bis Fussball, was die Anspielung auf den aus Südkorea stammenden ehemaligen Eintracht-Frankfurt-Stürmer Bum Kun Cha hinlänglich beweist. Den Ball tritt Brigitta Falkner auch im wirklichen Leben mit Leidenschaft. Ob sie auf dem Rasen noch zum Superstar wird, mag fraglich bleiben. Auf dem Feld der Literatur gebührt ihr längst ein Platz ganz vorne.
– Bernhard Fetz, Neue Zürcher Zeitung (8/2002)