Der Surrealismus ist ja eigentlich nur eine Spielart des Realismus – eine, die das, was gemeinhin für Wirklichkeit gehalten wird, hartnäckiger und einfallsreicher befragt, als selbst die Kunst dies zu tun pflegt. Nur als realistische sind utopische Weltmodelle überzeugend. So entwirft Brigitta Falkner in ihren fahlbunten Panoramen eine größenmäßig verkehrte Welt, einen maßstabverrückten Minimundus, eher verstörend als drollig. Während in den präzis gebauten und fotografierten Szenerien eine riesenhafte Wurstsemmel einen Tunneleingang blockiert oder ein Vogel Strauß auf Augenhöhe mit Wolkenkratzern posiert, verläuft quasi auf dem zweiten Gleis die Ton- oder Textspur, die Falkners bildgebendes Verfahren zugleich unterläuft: Die Beschreibung einer Eisenbahnfahrt ist ebenso wenig die Legende zu den Abbildungen wie diese eine Illustration des Textes sind, vielmehr erhellen Sprache und Bild einander ironisch. "Klein ist die Welt!", verkündet ein Reisender in der hier in Gang gesetzten Modelleisenbahn, und Falkner besorgt die als Gegenmittel naheliegende Erweiterung des Horizonts auf frappierende Weise, indem sie über Proportionen und physiologische Gesetze nachdenkt. Was zum Beispiel passiert wirklich, wenn, ähnlich wie in Jack Arnolds Film "The Incredible Shrinking Man", ein Mensch auf die Größe eines Insekts, sagen wir einer Stubenfliege, schrumpft? Um Sinnestäuschungen in puncto Geschwindigkeit und Lautstärke geht es, aber auch um optische Phänomene wie Luftspiegelungen. So erfährt man, warum Jesu Wandeln auf dem Wasser höchstwahrscheinlich nicht unter diese Kategorie fällt. Die Frage, wie unser Sehen funktioniert, verweist auf Falkners eigenen genüsslich desillusionierenden Blick, dem das Buch seinen subkutanen Witz verdankt. Welche Muskeln sind eigentlich am Werk, wenn eine Frau ihre Lippen nachzieht? Der Mathematiker Charles Babbage wird programmatisch zitiert: "Da mich die Oper etwas ermüdete, warf ich einen Blick hinter die Kulissen, um mir die mechanischen Vorrichtungen anzusehen." Ein schwindelmachendes Buch also über das verborgene Räderwerk des Lebens.
– Daniela Strigl, FALTER 44 (11/2010)