»was brigitta falkner nun vorlegt, gehört zum erstaunlichsten und vergnüglichsten, was buchhandlungen zu bieten haben. sie hat einen wunderkammer mit ihrer sprachkunst gefüllt. so sind nicht bloss einzelne gedichte in dieser kompositionstechnik entstanden, ganz kleine bücher von bis zu zwanzig abschnitte langen prosatexten finden sich in der sammlung. es gibt zeichnungen, deren bildtexte zu riesenpalindromen gehören, gesammelte fotos, die auch ohne text strukturelle entsprechungen des palindrom-gedankens bilden und eigenständige kurze bilderzählungen. ›Aha, Poesie‹ beispielsweise entwickelt sich auf zwölf buchseiten und zeigt die kunst der autorin auf ihrem höhepunkt. es sind gesellige arbeiten, die ständig mit den leserinnen und lesern ins gespräch geraten, auffordernd und einladend, die neckend und interjektiv sich zum mitspielen anbieten. die übernommenen regeln der konstruktion werden dabei nie gebrochen, sondern als eigenständige spielzüge umdefiniert bzw. neu erfunden und mit hintersinn interpretiert. wie bereits in ihrem ersten buch 1992, in dem pfiffige anagramme, bildtexte, comics die lektüre zum guten kommunikationsspiel machten, so hat falkner mit ihrer virtuosen eroberung der kompositionstechnik des rückwärtslaufens ein meisterwerk vorgelegt, das wiederum ein nicht-nullsummenspiel ist: niemand verliert, alle mitspielerInnen gewinnen.«
– Herbert J. Wimmer, WESPENNEST 110 / 1998
aus: Palindrome, Postkartenedition (1998) und TobrevierSCHreiverbot (Abbildungen in Schwarz-Weiß)
Palindrome I (2011)
Text / Bild / Stimme: Brigitta Falkner
aus: TobrevierSchreiverbot (1996), Fabula Rasa oder Die methodische Schraube (2001), Manuskripte 137 (2006)
Eine Gehung,
in: TobrevierSchreiverbot (1996)
Palindrom nach einem Foto von Digne Meller Marcovicz: »…Das berühmte Foto von Digne Meller Marcovicz, das Augstein mit Heidegger den Berg hinaufwandernd zeigt, es ist vielen das Bildzitat deutscher intellektueller Verhältnisse nach 45 geworden. Der Berg ruft. Das Bild zeigt die Rückenansicht der beiden: Heidegger mit zerknautschter Jacke, Wanderstock und Rucksack. Daneben Rudolf Augstein im schwarzen Anzug und mit Aktentasche, Waldschrat und Großstädter. Es ist der 23. September 1966…« (Frank Schirrmacher, Laudatio auf Rudolf Augstein, Der Spiegel, 21/2001)
»Nun zeigt uns die Wiener Autorin Brigitta Falkner, daß sich nach diesem Prinzip sehr wohl auch längere Texte inszenieren lassen: Dialoge,
Minidramen, in mehrere Kapitel aufgeteilte Kurzgeschichten und sogar Comicstrips! Unter der überschrift Eine Gehung belauscht sie Rudolf Augstein und Martin Heidegger bei ihrem berühmten Spaziergang, von dem sich dieses bekannte Foto erhalten hat: links der Zeitschriftenherausgeber mit Aktentasche, rechts der Philosoph mit dem Rucksack (beide von hinten). ›Lest, ärsche!‹ lautet das Einleitungspoem in einer Art Vorwortfunktion, palindromisch aufgelöst: ›(s)echs Rätsel‹. Auf die Poetik, nach der das ganze Buch funktioniert, spielt die Autorin unter dem Titel ›Aha, Poesie an‹; der Einsatz lautet: ›Aha, Poesie.‹ – ›Lies! Andersrum! Haha!‹«
– Karl Riha, Frankfurter Rundschau 52 (1997)
Palindrome III (2011)
Text / Bild / Stimme: Brigitta Falkner
aus: TobrevierSchreiverbot (1996)
»Bei Brigitta Falkner scheint nichts unmöglich. Nach ihrem Debüt-ABC (Anagramme Bildtexte Comics, Wien 1992) treibt sie die Sprache weiter, schreibt Grenztexte und erweitert so die Textgrenzen. TobrevierSCHreiverbot, der Titel ihres jüngsten Buches, ist zugleich Methode und Inhalt desselben – nämlich ein Palindrom. Ausgangspunkt für Falkner ist dabei stets die Mitte, die ausgefüllt sein (TobrevierSCHreiverbot) oder leer stehen kann (SEPP, INTIM: MIT NIPPES), von da aus schreiben sich die Texte nach außen fort: ›Das ganze logische Kleingeld ist in den Zwischenräumen‹ (Roland Barthes). Das Satzstück. ›…geh, sei lieb! (nebenbei: lies Hegel!)‹ bildet z.B. den Mittelpunkt eines längeren Palindroms. Die begleitende Zeichnung zeigt Klein Anna Hegel lesend am Küchentisch und ist nur eine von den vielen köstlichen Illustrationen des Buches. […] ›Im Fußball, das ist kein Geheimnis, findet sich eine ganze Menge Welt‹ (Ror Wolf). Mit von der Partie sind etliche Palindrome rund um den Fußball, eine gut ausgespielte Kombination, bei der Brigitta Falkner die Spielregel festsetzt: ›Wenn auf einer Seite des Palindroms ein TOR fällt, wird auf der anderen Seite eine Spieler ausgeschlossen (ROT).‹ […] Die Autorin selbst erscheint im Text als blinder Fleck, als Joker, wie auch der Leser verschwunden ist: Sprache liest sich (von) selbst. Dieses Schreiben hat weder Subjekt noch Objekt, ›hat nichts mit Bedeuten zu tun, sondern mit Landvermessen und Kartographieren‹ (Deleuze/Guattari).«
– Annette Brüggemann, FALTER 44 (1996)
Palindrome II (2011)
Text / Bild / Stimme: Brigitta Falkner
aus: TobrevierSchreiverbot (1996)
»Als Nachruf inszeniert sich das Palindrom ›Ach, tot …‹. Setting ist ein Kaffeehaus, in dem vier Personen – Maria, Anna, Isa und Otto – aus der Zeitung vom Tod des Freundes Fred erfahren. […] Während Anna mit ›Grad er! Fair?‹ die kürzeste Variante der Totenklage um einen zu früh aus dem Leben Gerissenen präsentiert, lobt Otto den Verstorbenen als ›Titan‹ – also als einen Giganten, der aber, gemäß der mythologischen Erzählung, in die Unterwelt verschwinden muss. Die rückläufige Lesart hebt, anders als bei ›O DU!‹, den Tod nicht mehr auf, wie denn auch die zwei Panels ein Umspringbild zwischen Text und Rezeption liefern, aber keine umkehrbare Sequenz.«
– Konstanze Fliedl, Experiment Palindrom. Vom rückwärts laufenden Sinn bei Brigitta Falkner. In: »Experimentierräume in der österr. Literatur«, Hrsg: . A. Millner, D. Pfeiferova, V. Scuderi (Universität Pilsen, 2020)
»Dass ein Palindrom nicht nur eine rückläufige Lesemöglichkeit bietet, sondern sehr viel komplexere Effekte erzielen kann, zeigt schon der Titel von Brigitta Falkners Buch. Das Wort TobrevierSCHreiverbot setzt zwei distinkte Zonen: Zum einen ist das das ›Austoben‹, das in einem bestimmten ›Revier‹ erlaubt ist; im angrenzenden Raum ist das ›Geschrei‹ aber verboten. Durch die rekurrente Lesart ist das Silentium der rechten Seite aber ohnehin immer schon durchbrochen. In der Symmetriemitte, also der Spiegelachse des Palindroms, steht dann ein nur mehr ironisches ruheheischendes ›SCH‹. Der gegenläufige Sinn ist also ein subversiver: Er hebt die sprachliche Distinktion von Räumen und die Opposition von Stille und Geräusch auf.«
– Fliedl (2020)
Eine Gehung (2011)
Text / Bild / Stimme: Brigitta Falkner
aus: TobrevierSchreiverbot (1996)
Ankündigung für einen Gastvortrag an der Westböhmischen Universität Pilsen (2018)
Bei der mit »palindromic greetings from the past« überschriebenen Gleichung handelt es sich um einen Neujahrsgruss aus dem Jahr 1991. X ist hier keine unbekannte Größe, sondern die palindromische Jahreszahl 1991. Zu beweisen ist der Wahrheitsgehalt der Aussage „x ist gleich 1991“. Operiert wird mit den Zeiteinheiten Minute, Stunde, Tag, Woche, Monat und Jahr: 60, 24, 7, 52 und 365.