Look Inside
»Während in den präzis gebauten und fotografierten Szenerien eine riesenhafte Wurstsemmel einen Tunneleingang blockiert oder ein Vogel Strauß auf Augenhöhe mit Wolkenkratzern posiert, verläuft quasi auf dem zweiten Gleis die Ton- oder Textspur, die Falkners bildgebendes Verfahren zugleich unterläuft: Die Beschreibung einer Eisenbahnfahrt ist ebenso wenig die Legende zu den Abbildungen wie diese eine Illustration des Textes sind, vielmehr erhellen Sprache und Bild einander ironisch. ›Klein ist die Welt!‹, verkündet ein Reisender in der hier in Gang gesetzten Modelleisenbahn, und Falkner besorgt die als Gegenmittel naheliegende Erweiterung des Horizonts auf frappierende Weise, indem sie über Proportionen und physiologische Gesetze nachdenkt. […] Die Frage, wie unser Sehen funktioniert, verweist auf Falkners eigenen genüsslich desillusionierenden Blick, dem das Buch seinen subkutanen Witz verdankt. Welche Muskeln sind eigentlich am Werk, wenn eine Frau ihre Lippen nachzieht? Der Mathematiker Charles Babbage wird programmatisch zitiert: ›Da mich die Oper etwas ermüdete, warf ich einen Blick hinter die Kulissen, um mir die mechanischen Vorrichtungen anzusehen.‹ Ein schwindelmachendes Buch also über das verborgene Räderwerk des Lebens.«
– Daniela Strigl, FALTER 44/2010
Populäre Panoramen I (2010)
Text / Bild / Stimme: Brigitta Falkner
aus: Populäre Panoramen I (Klever Verlag, 2010)
»Brigitta Falkner stellt wiederholt die Puppe eines kleinen Mädchens – großer Kopf, blaue Schleife im Blondhaar – in ihre Miniaturen. Es könnte das ›Ich‹ des Textes sein, als Erzählerin in Gestalt eines gigantischen Kleinkinds (Baby-Gullivera: ein Fuß so lang wie ein Mann), das auf fahrende oder umgestürzte Züge blickt und sich selbst zu groß ist. Man sieht sie meistens von hinten oder der Seite – aber einmal ist sie frontal gezeigt, und hat keine Augen. Wie eine ironische Reminiszenz an das Motiv vom blinden Seher-Dichter, Stichwort: Homer, das sich in den Superhelden der Comicverfilmungen des 21. Jahrhunderts fortsetzt, sind die Augenhöhlen blendend-geblendet weiß. Als sei sie ein Medium, eine Hülle.«
– Birgit Schwaner, Literaturhaus-Buchmagazin 11/2010
»Nichts ist zufällig in ihren durchkomponierten Arbeiten, kein Teilelement ist zu finden, das nicht doch auch noch einen weiteren Bedeutungs- und Gedankenraum aufmacht. […] Diese durchaus auch materialorientierte Produktionsweise spiegelt sich auch in Falkners jüngstem Werk, den eben erschienenen Populären Panoramen. Auffällig ist in diesem Band die weitere Aufwertung des Bildes als Erzähloption, ist doch jede rechte Seite mit bunten Tafeln versehen. Abseits vom Medium Comic, mit dem Falkner ebenfalls vertraut ist, entwickelt sie so ihre Option sequenziellen Erzählens weiter. […] Gekonnt jongliert die Autorin mit Gemeinplätzen aus Filmen, changiert geschickt mit den Größenverhältnissen der in den abfotografierten Dioramen platzierten Objekte oder integriert schlüssig Elemente wie Zwischentitel oder split screens. Was als Spiel mit den literarischen Möglichkeiten der Vervielfachung lesbar ist, kann aber auch als Reflexion über die Idee des ›Modells‹ und dessen vom Original abweichenden Eigenschaften verstanden werden.«
– Thomas Ballhausen, SKUG 8/2011
Ganz kleines Kino, Werkschau im Literaturhaus Graz (2015)
»Einen Realismus der besonderen Art praktiziert Brigitta Falkner. Ob sie traditionelle Verfahren wie Anagramm, Palindrom oder Lipogramm anwendet, stets nötigt sie die Sprache, den Blick freizugeben auf Ansichten der Realiät, für die der normale Realismus blind ist. […] In dem neuen Projekt Populäre Panoramen geht es u. a. um eine Bahnfahrt und sich anbahnende Beziehungen zwischen Reisenden, ein schon in russischen Romanen beliebtes Thema. Aber diese Realität der Bahnfahrt eröffnet nicht nur ein ständig wechselndes Innen und Aussen, Zufallsfahrgäste und mögliche Gefahrenmomente, sie ist an sich vielschichtig, denn sie besteht aus dem gesamten Hyperkubus menschlichen Wissens, der hier zwanglos zwanghaft eine anatomische Beschreibung der Gesichtsmuskulatur beim Lippennachziehen ebenso einbezieht wie er die Frage nach der Spurweite der Bahn auf die römischen Pferdefuhrwerke zurückführt, die sich in der Normierung des Spaceshuttle-Transportsystems wiederfindet. Von den Elektronen, die massenhaft schwärmen, wenn in Synthetikfasern gekleidete Beine übereinandergeschlagen werden, ganz zu schweigen. Dieses Geschehen spielt natürlich nicht in einem gleichartig strukturierten euklidischen Erzählraum, hier geht es holterdipolter von Domäne zu Domäne, Mikrokosmos und Makrokosmos schieben sich in und übereinander, freudianischer Witz grinst obszön dazwischen. In den Populären Panoramen formiert sich ein Stück Literatur, extrem zeitgemäss, sprachorientiert, witzig und kombiniert mit sehr klaren surrealen Illustrationen aus Brigitta Falkners Bilderwerkstatt.«
– Liesl Ujvary, Der Hammer 37/2009
»Die Konstellation der Sätze erzeugt ein dauerndes Schwanken – und das in einem durchaus wörtlichen Sinn: Falkner beschäftigt sich in ihren Texten auf mannigfaltige Weise mit den Begriffen Modell, Perspektive und Proportion/Verhältnis. Die Panoramen, die sie nicht nur erzählerisch, sondern auch bildhaft entwirft, zeigen eine Welt, in der ein zwanghaft genaues, statisches Beschreiben von buchstäblich surrealen Einbrüchen befallen wird. Wie schon in ihrem früheren Werk fällt auch in den Panoramen die Falkner’sche Lakonie an allen Ecken und Enden über das allzu Bedeutend-Formelhafte der Sprache her. Und parallel zu den Texten läuft ein Film in Bildern, der in seiner Präzision eine geradezu gespenstische Qualität entwickelt.«
– Helmut Neundlinger, AUGUSTIN 310/2011
Populäre Panoramen I, part 1 (2010)
Populäre Panoramen I, part 2 (2010)
»Für Populäre Panoramen I (2010) hat die Künstlerin erstmals zur Kamera gegriffen und Spielzeugfiguren in (Stadt-)Landschaften zu von einem eigenartigen melancholischen Licht durchdrungenen Ansichten arrangiert, die an die Collagen Ror Wolfs oder die Arbeiten des Schweizer Künstlerduos Fischli/Weiss denken lassen. Die Panoramen markieren aber auch den scientific turn der Autorin, die hier eine empfindsame Zugreise aus wahrnehmungspsychologischer und neurophysiologischer Perspektive erzählt. Die systematisch und ganz ernsthaft erörterte Frage, welche Folgen es hätte, wenn sie – ›wie der Typ in dem Film […] The Incredible Shrinking Man‹ – auf die Größe einer Stubenfliege schrumpfen würde, führt unter anderem zu der Einsicht, ›dass ich, um die konstante Körpertemperatur aufrecht zu erhalten, fortwährend riesige Essensmengen in meine winzige Mundöffnung stopfen müsste, wobei schon ein paar am Körper haftende Tropfen, die ein Mehrfaches meines Eigengewichts ausmachen, infolge der Oberflächenspannung in Sekundenschnelle eine zähe, klebrige Schicht bilden und die zügige Nahrungsaufnahme unschön beenden würden.‹«
– Klaus Nüchtern, FALTER 14/2020
Populäre Panoramen I
im Rahmen der Sonderausstellung KUBIN&NEXTCOMIC, Landesgalerie Linz (2019)
Jandl lesen (2010)
Der Kurzfilm wurde 2010 im Rahmen der Sonderausstellung Die Ernst Jandl Show im WIEN MUSEUM gezeigt.